Wie gewöhnt man sich einen gesunden Egoismus an?

Guten Tag zusammen,

In der letzten Zeit geht mir dieses Thema nicht mehr aus dem Kopf.
Wie eignet man sich einen GESUNDEN! Egoismus an?

Typ hilfsbereit in allen Lebenslagen. Schon immer gewesen, sowohl beruflich als auch privat. Oft damit auf die Nase gefallen, weil ja nicht jeder so denkt. Man gibt und gibt und andere nehmen und nehmen.
Vermutlicher Ursprung ist wohl meine Mutter. Die hat damals für uns Kinder immer auf alles verzichtet, soweit ich mich erinnern kann. Noch ein Stück Fleisch übrig? Iss du mal Kind, Mama reicht ein halbes oder gar keins. Das ist nur ein Auszug an kleiner Erinnerung.

Nun komme ich immer öfter an meine Grenzen.
Andere sind in diesem Fall vorallem die Familie.
Da möchte ich gar nicht zu weit ausholen, sonst sprenge ich vermutlich den Rahmen hier.
Vielleicht benötigt es ja auch keiner weiteren Erklärung, da es ja eher eine Grundsatzdiskussion ist.

Aber wie schafft man es sich auch mal Zeit oder etwas anderes für sich zu gönnen ohne ein schlechtes Gewissen?
Wie schafft man es andere anstehen zu lassen, weil man selbst derzeit zu kurz kommt?
Wie grenzt man sich davon ab?

Danke. L.

1

Durch eine gesunde Portion Selbstliebe. Dadurch dass man sich und seine Bedürfnisse erkennt und ernst nimmt. Durch eine realistische Selbstwahrnehmung und ein gutes Selbstbewusstsein.

2

Danke für deine kurze prägnante Antwort.
Die Bedürfnisse erkenne ich. Aber leider stelle ich sie derzeit wohl sehr weit hinten an.
Über beide anderen Punkte werde ich mir noch meine Gedanken machen... Müssen.

3

An einem Stück Fleisch würde ich gesunden Egoismus jetzt nicht fest machen, aber das war bestimmt auch nur so ein typisches einprägsames Beispiel aus deiner Erfahrung.

Ich frage mich oft, was gesunder Egoismus ist und inwiefern man ihn braucht. Meinen Kindern würde ich alles zuerst überlassen, das wäre für mich keine Einschränkungen, für sie auf etwas zu verzichten.
Auf der Arbeitsieht es schon ganz anders aus. Da würde ich mich mittlerweile nicht mehr aufopfern, dankt einem ja eh keiner.

Ich bin sehr gespannt, was hier noch so kommt an Antworten.

5

Da hast du wohl auch Recht.
Ist vermutlich ein eher schlechtes Beispiel mit dem Stück Fleisch gewesen.

Auf der Arbeit habe ich es weitestgehend geschafft mich zu distanzieren. Das tat mir auf Dauer nicht gut. Und wie scheinbar auch du die Erfahrung gemacht hast, es dankt einem Keiner. Und die Kraft und Energie bekommt man nicht zurück.

Privat ist es leider ein anderes Thema.

Ich bin auch gespannt auf weitere Antworten.

21

Hallo.

Das sehe ich anders. Ich werde (theoretisch zum Glück) nicht hungrig ins Bett gehen, damit meine Kinder sich absolut pappesatt essen und dreimal Nachschlag hatten. Genau das sehe ich auch als gesunden Egoismus an. Oder eben auf meine Wurst auf dem Brot verzichten, damit das Kind ein iphone bekommt.

LG

weitere Kommentare laden
4

Es gibt tatsächlich Fortbildungen zu dem Thema.

"Lernen nein zu sagen" hieß eine in Hamburg letztes Jahr.

6

Lernen Nein zu sagen trifft es wohl auf den Punkt.

Danke für deinen Tip.

7

Ich finde die Grenze ist da, wo es dir nicht mehr gut tut.

Z.B. du bist fertig und müde und die Kinder wollen jetzt sofort mit dir rausgehen.
Lösung: Erst 1 Stunde ausruhen, damit du wieder Energie für die Kinder hast. Davon haben alle etwas.

Du kannst gerne helfen und unterstützen, aber auf keinen Fall auf Kosten deiner Gesundheit.

Vielleicht könntest du auch abwechselnd egoistisch und selbstlos sein.
Erst wenn du wieder etwas Gutes für dich getan hast, "darfst" du wieder etwas Gutes für andere tun.

8

Um das zu verstehen sind die Kinder leider noch zu klein.
Die Idee ist aber gut.

Auch dein letzter Absatz ist eine gute Idee, allerdings brauche ich dafür wohl erstmal den gesunden Egoismus um das so Durchzuziehen.

33

Wie alt sind denn die Kinder? Also, wenn du nicht gerade Zwillinge hast, dann ist das erste Kind bei "die Kinder" wohl mindestens an die zwei Jahre alt und kann deshalb durchaus MAL verstehen, dass auch Mama Bedürfnisse hat. Ich glaub, hier liegt auch schon der Hund begraben. Kinder können viel mehr Verantwortung übernehmen als du ihnen zutraust. Und es schadet ihnen nicht, sondern du tust IHNEN damit was Gutes.

Ich möchte sogar soweit gehen und behaupten, dass dieses "ich opfere mich für alle auf" ein Stück weit egoistischer ist als hin und wieder mal eine klare Entscheidung für sich selber. Warum? Klar hab ich es WESENTLICH einfacher, wenn ich die Spülmaschine selber ausräume, meine immer genau dann raus/zu Freunden/an diverse Medien/… lasse, wann SIE es wollen. Dann hab ich nämlich meine Ruhe und brauche nicht zu diskutieren. Ich bekomme die Lorbeeren, alle mögen mich. Aber letztlich vernachlässige ich sie dadurch.

Ich habe im Freundeskreis ein paar solche Mamis, die mit ihrer Selbstaufgabe eigentlich ihren Kindern schaden. Denk mal drüber nach. Vielleicht fällt es dir leichter, deinen Kindern mal was abzuschlagen, wenn du verstanden hast, dass es FÜR SIE gut ist, wenn sie nicht alles nachgetragen bekommen.

9

Fühlst du dich privat oder beruflich ausgenützt?

12

Es geht aktuell ums Private. Beruflich habe ich meinen Weg gefunden.

Ausgenutzt fühle ich mich nicht.
Das ist das falsche Wort.
Eher überlastet. Gerne möchte ich Dinge abgeben, weiß aber nicht an wen und wie das aussehen könnte.
Es ist kein Ausnutzen. Eher Pflichgefühl.

10

Ich möchte Dich nicht entmutigen, aber auch ehrlich sein, was ich denke: Ich glaube gar nicht. Was Du erreichen möchtest, ist ja bei völlig berechtigten Anliegen einfach mal an Dich zu denken UND kein schlechtes Gewissen mehr haben. Ich kenne das Problem sooooo gut. Schon mein ganzes Leben lang, seit Jugendzeiten. Manchmal schaffe ich es, mir mal Zeit für mich zu nehmen, mir und nur mir, mal bewußt was zu gönnen - aber nie ohne schlechtes Gewissen. Ich pflege seit mehreren Jahren meine Mutter, bin schon lange über meinen Grenzen und bin von gesundem Egoismus weiter entfernt als je. Ich halte das für tief in der Persönlichkeit verwurzelt und praktisch nicht veränderbar. Traurig für den Betroffenen.

13

Das tut mir sehr Leid, dass es dir genauso oder zumindest ähnlich ergeht.
Da kannst du mich sicher gut verstehen.

Ich möchte mich aber nicht damit abfinden, dass es keinen Weg für mich gibt.
Auch, wenn ich ihn aktuell nicht sehe.
Sicherlich ist das total Typabhängig.
Aber ich lese genauso raus, dass es dir damit nicht gut geht.
Will man das bis ans Lebensende? Kann man das?
Und warum macht man das überhaupt? Wenn man selbst so leidet?
Wer dankt es einem? Und wären die Betroffenen Personen nicht eher glücklich, wenn es einem dabei auch gut geht, wenn man hilft?

14

Da stellst Du Fragen, die ich mir auch immer wieder stelle. "Will man das bis ans Lebensende? Kann man das?" Ich merke vor allem: Ich schaffe das alles jetzt kaum noch mit dieser Problematik. Wie soll ich es noch Jahrzehnte so schaffen? Ich wünsche mir sehr, ich könnte mehr Abstand gewinnen, mehr Abgrenzung, Entspannung. Eben genau das, was Du gesunden Egoismus nennst. Ich sehe da überhaupt keinen Weg für mich. Andere haben ja schon geschrieben, dass man sich da schon ändern kann. Mir ist das leider nie ansatzweise gelungen, aber ich wünsch Dir alles Gute.

weitere Kommentare laden
11

Klingt total einfach, ist es aber nicht:

Prioritäten setzen.

Ein familienmitglied/Freund ist liegen geblieben und kommt nicht weg.
-habe ich gerade die Möglichkeit unwichtige Dinge (einkaufen etc) zu verschieben? Na dann fahr ich sofort los!

Eine Freundin fragt ob ich heut zufällig noch zum Supermarkt komme und ihr xy mitbringen kann (sie hat nicht immer ein Auto)
- Falls ich in der Nähe bin: gern!!
- Falls zeitlich gerade nicht machbar, dann sage ich auch, dass ich es leider nicht mehr schaffe. Und das ist dann auch ok.


Auf der Arbeit ähnlich:
Wenn viel zu tun ist, helfe ich gern. Aber ich muss meinen eigenen Kram auch fertig bekommen. Also kann ich nicht alles übernehmen....

Man muss abwägen, wie man es schaffen kann. Für manche Menschen würde ich mir ein Bein ausreißen. Für andere würde gern mal etwas übernehmen, aber nur wenn ich selber nicht zu sehr in Nöte komme...

Aber das hat zugegebenermaßen gedauert. Vorallem dass man auch mal Nein sagen kann, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.... Und da bin ich auch noch im Lernprozess.

16

"Aber wie schafft man es sich auch mal Zeit oder etwas anderes für sich zu gönnen ohne ein schlechtes Gewissen?"

Gut erkannt: Zeit NEHMEN, nicht warten ;-)

Ohne schlechtes Gewissen. Schwierig, weil was man sich (aktiv) nimmt, ist ja nehmen, nicht Glück haben. Daher schlechtes Gewissen.

Was mir hilft:

Prioritäten setzen.
Wie schaffe ich das?

Mein Weg ist: mir bewusst zu machen, was welche Folgen hat.

krank:
Bleibe ich liege, bin ich in einigen Tagen gesund! Ergo geht es mir und meinem Kind wieder gut. Vor allem meinem Kind, weil ich wieder da sein kann.

Stehe ich auf, "versorge" mein Kind. Das sieht gut aus, ich breche zusammen. Die schlechte! Versorgung zieht sich über Wochen.
Tranige Mama, die keine Lust hat rauszugehen. Kopfschmerzen und Kind soll leise sein.

Wie geht beides?
Muss ich perfekt sein? NEIN
3-4 Tage gehen auch herrlich unperfekt. Auf lange Sicht natürlich nicht.

Ergebnis: ich bleibe bei Krankheit liegen, kuriere mich aus. Kind freut sich über 24-Stunden-Müsli ... und nach 3 Tagen darauf, dass es endlich wieder Gemüse gibt. Mission erfüllt. Kind gesund, ich gesund.
Wir haben BEIDE Spaß daran wieder aktiv zu sein.


Würde ich aufstehen, IRGENDWIE was tun, würde es mir schlechter gehen, Infekt verschleppen. Kind macht sich sorgen, nichts läuft so wirklich. Kind genervt/unruhig, ich entwickle Angst, dass es ein Dauerzustand wird.
Einzige was hilft: auskurieren.

Meine Erfahrung: je länger ich etwas verschleppe, desto länger dauert es gesund zu werden.


Bei anderen Dingen ähnlich:

was ist zu tun
- was BRAUCHE ich dazu
- was BRAUCHEN die anderen (nicht das aus Bequemlichkeit Mama macht ja)

und dann halte ich mir die Folgen vor Augen.
Auch damit sich bei mir keine Bequemlichkeit einschleicht, wenn ich etwas zu lange schleifen lasse. Aber hin und wieder....

Heute
in der Pubertät
Kind als Erwachsene.

Oft ist das, was ich aus Gewohnheit tue, in dem Moment super für die anderen
aber langfristig schlecht für mein Kind!

- ich habe langfristig weniger Kraft und wäre schneller selbst zu pflegen
- Selbstständigkeit meines Kindes.

Also prüfe ich: wo tue ich meinem Kind (auch langfristig) einen Gefallen, wenn ich es selbst tue. Z.B. in dem mein Kind noch nicht soweit ist und ich es überfordern würde

und wo tue ich meinem Kind KEINEN Gefallen, wenn ich es selbst tue. Dann wenn mein Kind die Chance braucht, es selbst zu lernen. Unterstützung geben ist oft aufwändiger/anstrengender als es selbst mal schnell zu tun.
Nur irgendwann kann mein Kind es schnell mal selbst tun und fängt dann nicht alleine an.


Gesund ist für mich: wenn AUCH meine Bedürfnisse daran passen und AUCH die Bedürfnisse der Familie.
Manchmal eben mit Kompromissen.

Bei Kompromissen orientiere ich mich wieder an Priorität


Gesundheit vor Bequemlichkeit
Vorbeugende Probleme vor hinterher ausbaden
Unperfekt gut vor perfekt
unperfekt gut vor Chaos

BRAUCHEN vor "das würde mir gut tun"

das TUT mir gut vor das würde vielleicht oder auch nicht anderen gut tun
das TUT meinem Kind gut vor "ich habe keine Ahnung ob mir das jetzt gut tun würde"

ggf. wechseln wir uns beiden letzten beiden Punkten ab.
Urlaub: Museum für mich, Spielplatz für Kind. Ich halte die Zeit so ein, dass es mein Kind nicht überfordert. Dafür hält mein Kind die Zeit im Museum durch, ohne meine Nerven auf den Kopf zu stellen.
Davor/danach auspowern auf dem Spielplatz. Das tut ihr gut und meinen Nerven auch.

17

Als erstes solltest du lernen, damit fertig zu werden, dass es mal lange Gesichter gibt oder jemand mal sauer auf dich ist.
Viele Menschen trauen sich nicht, "nein" zu sagen, weil sie es nie gelernt haben oder weil sie Konflikten aus dem Weg gehen wollen. Ständige Hilfbereitschaft hat also selten etwas mit Opferbereitschaft zu tun.
Man muss nicht Jedermanns Liebling sein.

Außerdem sind die Folgen des sich verweigerns (also öfter mal "nein" sagen) auf Dauer geringer, als man denkt.