Unser Familienplan ist auf den Kopf gestellt - Diagnose MS

Hallo,

ich bin völlig durch den Wind, noch kann ich mit niemandem darüber reden, denn noch ist Nichts ganz fest.

Wir sind eine Familie mit fünf Kindern zw. 15-3J, wir sind 42 und 45.
Mein Mann hat vor ein paar Wochen die wahrscheinliche Diagnose MS bekommen.

Es sagt sich immer vorher so leicht, dass man alles so planen soll, dass es auch alleine geht. Ich erinnere mich noch gut an das Ende im Thread zum Thema "Woran erkennt man, dass es zu viele Kinder sind".

Ich sags ehrlich, ich habe jetzt einfach Angst. Finanziell, emotional, organisatorisch sind fünf Kinder einfach eine Hausnummer, die wir nur als Team schaffen.

Wir haben keine Unterstützung von den Großeltern bzw. Familien, alle zu weit weg.

Ich bin mir sicher, dass wir es bestimmt schaffen. Aber wir haben es uns einfach so anders vorgestellt. Wir hatten Pläne, wir haben uns beide gesehen in einer grossen Familie mit vielen Kindern, beide gehen möglichst wenig arbeiten, wir haben viel Zeit für die Kinder. Und bis vor ein paar Wochen war auch alles so, wie wir es uns vorgestellt haben. Auch wenn es manchmal schwierig zu bewältigen war und wir rudern mussten, gerade im Baby Jahr des letzten Kindes, wo doch alles ganz schön viel war.

Und jetzt bröckelt unser Konstrukt, auch unsere Wünsche.
Was steht im Raum? Umziehen auf Dauer, behindertengerecht, ständige Arzttermin?

Ich bin ehrlich, ich habe hier noch ca. 18/20 Jahre mindestens ein Kind im Haus und im Anschluss pflegen? Rollstuhlgerecht? Das war einfach nicht mein Plan!!!

Nennt mich naiv, nennt uns naiv, aber wir haben uns auf uns verlassen, wir haben nichts in der Richtung eingeplant, bedacht, vorausgesehen.
Mir macht das Finanzielle gar nicht die großen Sorgen, das klappt schon.

Es ist eher das Gefühl, um unseren Plan betrogen worden zu sein, mich nicht mehr auf uns als Team verlassen zu können. Wir wollten die Kinder gemeinsam groß bekommen und nun?

Ich fühle mich so alleine in der Verantwortung.

Wahrscheinlich wird alles gar nicht so anders aber es ist das endgültige der Diagnose, das im Raum steht. Dass ich plötzlich allein oder mit zu pflegenden Mann und mittelgroßen Kindern dastehen.

Plötzlich sind wir so alt...

Kann mir jemand etwas dazu sagen, hat jemand eine Diagnose bekommen, die plötzlich alles auf den Kopf gestellt hat?

Grüße

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Mein Schwiegervater hat MS seit er 19 ist. Er hatte bisher 3 Schübe. Ihm geht es gut, er muss seine Blase entleeren und muss sich mal eine Pause mehr gönnen.
Er achtet auf genug Bewegung und gesunde Ernährung.
Ist es klar, dass dein Mann in den Rollstuhl kommt oder malst du das Leben gerade schwärzer als es ist?

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Hallo, so eine Diagnose ist zunächst einmal total erschlagend, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Auch wenn sich der Verdacht bestätigen sollte, wisst ihr nicht, wie der Verlauf sein wird. Das Gute ist erstmal, dass MS relativ häufig ist, somit gut erforscht ist und auch zukünftig sicher noch besser behandelbar sein wird. Ja es kann sein, dass dein Mann mal im Rollstuhl sitzen wird oder pflegebedürftig sein wird, aber aber er muss nicht sein. Und selbst wenn ist es gut möglich dass er vorher noch viel gute und weitgehend beschwerdefreie Jahre vor sich hat.
Ich weiß, mal malt sich erstmal das Schlimmste aus. Aber das Schlimmste muss nicht eintreten.
Ich war vor einigen Jahren in einer neurologischen Reha und habe das mehrere MS Patienten kennen gelernt die gut zurecht kamen, mit einem bin ich öfters wandern gegangen und der hatte die Krankheit schon einige Jahre.
Sollte sich der Verdacht bestätigen würde ich deinem Mann aber auch dir dringend raten, eine Selbsthilfegruppe aufzusuchen. Die gibt es für Betroffene aber auch für Angehörige. Der Austausch mit anderen kann sehr hilfreich sein und Hoffnung machen.
Ich wünsche euch allen Gute!

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Hello,

ich weiß, wie niederschmetternd diese Diagnose erstmal ist, da ich sie seit 2016 selbst habe. Und ich lebe sehr gut damit. Ich bin in einer Basistherapie eingestellt, habe zwischenzeitlich sogar ein Baby bekommen und im Alltag keinerlei Einschränkungen, da sich alle Schübe wieder zurückgebildet haben (klopfe auf Holz). Niemand würde auf die Idee kommen, dass ich MS habe. Diese Krankheit ist maximal individuell und in den allermeisten Fällen heute gut zu händeln.

Aber zu allererst: nehmt Euch Zeit diese Nachricht zu verdauen. Das ist ein Prozess der Trauer - vor allem um die Zukunftsvorstellungen, die man hatte - der einige Zeit dauern wird, sowohl beim Erkrankten selbst als auch bei den Angehörigen. Scheut auch nicht davor zurück therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen oder eine Selbsthilfegruppe aufzusuchen. Die DMSG (Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft) bietet hier wirklich tolle Sachen an und ist gerade für Neudiagnostizierte eine super Anlaufstelle mit den ganzen Fragen, die einen erstmal erschlagen.

Mir hat es noch geholfen, mich umfassend zu informieren und eine gute medizinische Versorgung durch ein/e Neurologen/ Neurologin oder MS-Ambulanz sicherzustellen. Dort werden viele Fragen beantwortet und die Basistherapie eingestellt (falls Dein Mann eine machen möchte). Ansonsten gibt es tolle Informationsangebote im Internet - von kostenlosen Vorträgen (auch via Zoom etc.) der DMSG bis hin zu Podcasts (etwa "MS-Perspektive"). Dort bekommt man hilfreiches Input zu allem, was einen mit der Diagnose umtreibt, bspw. auch in wiefern man sich und die Familie dennoch finanziell absichern kann.

Ich drücke Euch ganz fest die Daumen, dass Dein Mann eine MS hat, mit der sich gut leben lässt!

Bearbeitet von SelbstBetroffen
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Guten Abend,

ich verstehe sehr gut, dass die Diagnose euch aus der Bahn geworfen hat, dass viel Ungewissheit auf euch einstürzt und dass ihr Ängst und Unsicherheit spürt.

Die jüngste Betroffene, die ich kenne, hat ihre MS Diagnose im späteren Teenageralter erhalten. Die Diagnose liegt nun zwanzig Jahre zurück und sie ist halbtags berufstätig und Mutter und sie lebt - mit gewissen Einschränkungen - ihr Leben normal und sie ist glücklich.
Sie ist in regelmäßiger ärztlicher, auch medikamentöser Behandlung, weshalb sie bisher zum Glück nur sehr wenige Schübe hatte.

Ich arbeite im medizinischen Bereich und habe bereits einige MS-Betroffene behandelt. Jeder Verlauf ist unterschiedlich, die Krankheit heißt nicht umsonst "Krankheit der tausend Gesichter".
MS gibt es in verschiedenen Formen und mit unterschiedlicher Schubhäufigkeit. Da gibt es also auch trotz gesicherter Diagnose oft Verläufe, die so milde sind, dass der Betroffene ohne oder mit nur geringen Einschränkungen sein Leben führen kann.
Es gibt natürlich auch die schweren und sehr Fälle, die zum erheblichen Verlust von Fähigkeiten führen (können).
Aber auch dann gibt es Medikamente, die Schübe aufhalten oder Konsequenzen abmildern können. Außerdem sind auch Physiotherapie, Ergotherapie o.ä. sinnvolle unterstützende Maßnahmen.

Trotz aller Verunsicherung und Furcht denke ich, dass der nächste Schritt sein sollte, die endgültige Diagnose abzuwarten und die Einschätzung der Ärzte zu beherzigen.
Als nächstes sollte die Erkrankung in eurem Leben akzeptiert werden, ohne ihr einen vordergründigen, alles überschattenden Raum einzuräumen.
Und dann sollte, gemäß der Empfehlung der Ärzte geschaut werden, welche Therapien Dein Mann in Anspruch nehmen kann.
Evtl. kann er auch einen Schwerbehindertenausweis beantragen, um bspw. mehr Urlaubstage zur Erholung zu bekommen.
Je nachdem, welchen Beruf er ausübt, ist es vielleicht sinnvoll zu überlegen, ob es (mittel- oder langfristig) Alternativen gibt.
Und zu guter Letzt würde ich mich sinnvollen Hilfsmitteln gegenüber nicht verschließen, insofern sie sein und euer Leben erleichtern.

Und neben alledem kann ich nur empfehlen, euer Leben so weiterzuleben, wie ihr es bis jetzt getan habt. Mit allem was ihr liebt und schätzt.

Ich drücke euch die Daumen für einen milden Verlauf!

Alles Liebe
Oukami

* die erwähnte "Betroffene" ist keine meiner Patientinnen

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Hallo Liebes,

mein Mann hat auch MS und ich spüre den unfassbaren Schmerz heute noch, nachdem wir die Diagnose bekamen. Es war die bisher schlimmste Nacht meines Lebens.
Schreib mich gerne privat an, wenn du magst.

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Hallo ,

atme erst mal tief durch .
Es ist schlimm , was Euch passiert , aber mal Dir jetzt nicht gleich den schlimmsten Fall aus.
MS ist eine inzwischen gut erforschte Erkrankung und sie verläuft bei jedem anders.
Mein Bruder hat die Diagnose vor über 10 Jahren bekommen und hatte in der ganzen Zeit 3 Schübe die bei ihm im Bereich der Sehfähigkeit waren. Körperlich ist er überhaupt nicht eingschränkt.
MS heißt nicht automatisch Rollstuhl und pflegebdürftigkeit.
Man wächst an seinen Aufgaben heißt es ja immer und auch wenn ihr euch Eure Zukunft anders vorgestellt habt so werdet ihr Step by Step mitwachsen.
Für fast jedes Problem gibt es Lösungen .
Man weiß doch nie was die Zukunft bringt.... Ihr jedoch könnt euch auf manches einstellen und werdet so manche Dinge viel mehr zu schätzen wissen.
Alles Gute für Euch !
LG

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Mir ging es ähnlich, als mein Mann die Diagnose vor 4 Jahren (Anfang 40) bekam. Es reißt einem den Boden unter den Füßen weg. Auch weil wir uns von anderen herben Diagnosen gerade langsam erholt hatten...
Meinem Mann geht es gut, er bekommt Medikamente und hatte seitdem keinen Schub. Er ist "nur" schneller erschöpft.
Ich plane größere Dinge so, dass ich es auch allein mit den Kindern machen könnte (z.B. Urlaub). Auch finanziell und beruflich habe ich einen Plan B, sollte mein Mann nicht mehr arbeiten können. Zum Glück sind unsere 2 Kinder schon im GS-Alter, aber eines davon hat selbst Einschränkungen. Und beim Hausbau haben wir räumlich auch auf eine mögliche Pflegebedürftigkeit geachtet.
Ich drücke euch die Daumen, dass dein Mann zukünftig keine allzugroßen Einschränkungen durch die Krankheit hat.

Bearbeitet von hierauchpassiert
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Kenne zwei Leute, die in jungen Jahren die MS Diagnose erhalten haben.
Die Frau lebt ihr Leben noch immer nahezu wie bisher. Diagnosestellzng war vor etwa 15 Jahren.
Der Mann kann mittlerweile nicht mehr arbeiten. Hat diese Krankheit ebenfalls seit ca 15 Jahren. Er war Handwerker und er hat Probleme, das Werkzeug halten zu können. Ansonsten läuft's bei ihm ganz gut

Diese Krankheit verläuft also sehr langsam und man kann entsprechend vorausplanen.

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Sorry, da muss ich einhaken!
Man weiß eben nicht, ob sie sehr langsam verläuft. Ein schwerer Schub kann auch von heute auf morgen das Leben schwerschwiegend verändern. Das ist ja das tückische an der Krankheit. Man weiß nie, wie sie verlaufen wird.

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Ja, da hast du schon recht. Es KANN so kommen. Aber meist ist dies nicht der Fall.
Man hat zumindest noch Jahre Zeit, um auf diesen Ernstfall vorbereitet zu sein. Die meisten Betroffenen jedenfalls.

Und: Ja - so eine Diagnose stellt das Leben auf den Kopf und man fühlt sich vom Leben betrogen.

Aber MS ist keine tödliche Krankheit und die Lebenszeit wird EVTL nur minimal verkürzt.
Es kann passieren, dass man auf den Rollstuhl angewiesen ist. Das ist natürlich auch nicht toll, aber man kann am Leben teilhaben.

Ich selber hatte vor Jahren eine Diagnose, bei der es um Leben und Tod ging. Und meine Kinder waren auch noch sehr klein. Ich weiß also, was sowas mit einem macht.
Aber die TE und ihre Familie haben immerhin die Zeit dazu, sich auf alles was einntreffen könnte einzustellen und dementsprechend zu planen.

Ich wünsche ihnen dabei alles Gute!

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Dieses Gefühl, um seinen Plan betrogen worden zu sein, kann ich nur zu gut nachempfinden. Bei meinem Mann stand wochenlang eine mögliche Diagnose im Raum, auf die ich jetzt nicht im Detail eingehen will, weil ich nicht weiß, ob ihm das recht wäre. Nichts, woran man stirbt, aber auf jeden Fall im hohen Maße lebensverändernd, absolute Berufsunfähigkeit und so weiter. Man ist so ohnmächtig, und die Frage nach dem "Warum?" macht einen wahnsinnig. Man hatte so viele Ideen, so viele Wünsche, man hat alles so gut geplant...alles dahin. Man möchte heulen, gleichzeitig hasst man sich selber, weil nun eben die schweren Tage aus dem Eheversprechen kommen, mit denen man in dem Ausmaß aber nie gerechnet hat - jedenfalls nicht mit 40 - und deswegen so voller Wut ist, obwohl der andere einen ja nun besonders braucht...

Mir hat es sehr geholfen, diese Enttäuschung, diese Wut rauszulassen. Ich erinnere mich an viele Gespräche mit meinem Vater; er war einer der wenigen, die es wussten, weil er die Anzeichen auch selber bemerkt hatte. Wie ich ihm alles heulend hingeworfen habe und immer wieder gesagt habe, dass das unser Leben zerstört, uns kaputt macht. Und er meinte: "Nein. Es ändert nur alles." Ich kann dir gar nicht sagen, wie wütend ich in dem Moment war. Ich fand den Satz so furchtbar, aber nachdem ich über die erste Phase hinweg war, erwachte tatsächlich so ein bisschen der Kampfgeist. Ein trotziges "Wir kriegen das hin, dann ändern sich unsere Pläne eben." Das hat mir die Kraft gegeben, für meinen Mann optimistisch zu bleiben, ihm Hoffnung zu machen. Dieser Trotz war das, was mich halbwegs am Laufen gehalten hat, damit ich ihm beistehen konnte. Insofern: Wut kann gut sein. Gerade am Anfang, wenn man das irgendwie unter die Füße bekommen muss, die Sachen am Laufen halten muss, Perspektiven finden muss. Trotzdem ist es, denke ich, wichtig, sich auch das Trauern zu erlauben. Um das, was hätte sein können. Um die Träume, die man vielleicht aufgeben muss. Du darfst wütend sein.

Letztlich hat sich bei uns die befürchtete Diagnose nicht bewahrheitet, es ist etwas anderes. Stand jetzt sieht es gut aus, aber absolute Sicherheit wird er nicht bekommen. Es bleibt vermutlich ein lebenslanges Hoffen. So irre es klingt, aber: Im Nachhinein kann ich dieser furchtbaren Zeit tatsächlich etwas Gutes abringen. Es hat uns als Paar so eng zusammengeschweißt wie nichts davor und vermutlich nichts danach. Es hat uns gezeigt, wie stark wir sein können. Dass wir auch in den dunkelsten Stunden noch zusammen einen Lichtschimmer irgendwo finden und ihm gemeinsam folgen. Dass wir Freunde, Geschwister, Eltern und Kollegen haben, die uns unterstützen. Dass wir trotzdem eine gemeinsame Zukunft haben, dass wir uns haben, auch wenn es anders als gedacht wird.

Ich hoffe, dass sich die Diagnose deines Mannes nicht bewahrheitet. Aber egal, wie es ausgeht: Lasst eure Gefühle raus. Und sucht euch Hilfe. Ihr seid nicht alleine.

Bearbeitet von Allesanders...