Fehler der Vergangenheit holen mich ein

Anfang 20 bin ich sehr gerne feiern gegangen. Am liebsten die ganze Nacht mit einem Haufen Alkohol. Ich war und bin immer noch ein sehr nachdenklicher Mensch. Den Kontrollverlust damals hab ich total genossen, wie eine Pause von mir selbst. Ich kam bei Jungs immer gut an - attraktives Äußeres und eine lockere Art. Mit mir konnte man wirklich viel Spaß haben und ausgelassen feiern. Ich war damals in einer Beziehung, habe meinen Partner geliebt und er hat mir sehr viel Freiheit gelassen.

Ich hab schon immer gern geflirtet und die Aufmerksamkeit der Jungs genossen. Je mehr Alkohol, desto mehr flossen auch die Komplimente und die Gespräche wurden inniger. Leider ging es soweit, dass ich ein paar Mal fremdgeknutscht habe. Ich wusste in dem Moment, dass es falsch war und ich es am nächsten Morgen unglaublich bereuen werde, aber die Verführung war zu groß, der Drang Grenzen zu überschreiten... Am nächsten Tag hab ich mich gehasst, wirklich verabscheut für das was ich getan hab und mir geschworen, es passiert nie wieder. Es kam aber die Situation, in der ich wieder nicht widerstehen konnte... Mein damaliger Freund hat es nie rausgefunden. Die Beziehung ging irgendwann in die Brüche und in der Zwischenzeit hat sich viel verändert, ich bin über 30, feiere und trinke bei Weitem nicht mehr so viel. Ich bin in einer Beziehung und habe die Fehler aus meiner Jugend seit Jahren nicht mehr begangen. Es wird mir auch nicht mehr passieren, da ich mich jetzt unter Kontrolle habe und meine Beziehung nicht mehr riskieren würde. Eine gewisse Wirkung hat Alkohol nach wie vor auf mich. Ich weiß nicht genau, wie ich es beschreiben soll. Aber mir fällt die Attraktivität von Menschen auf, die mir vorher egal war. Ich fühle mich schneller hingezogen und ganz hinten in meinem Kopf ist dieses "wie wäre es wohl ihn jetzt zu küssen?", Wie wäre es diese Grenze zu überschreiten". Ich kenn diese "Gefahr" und weiß heute damit umzugehen. Früher habe ich Grenzen unter Alkoholeinfluss gerne überschritten und z.B. auch mit Drogen herumprobiert. Auch das würde ich nie wieder tun.

Für mich ist Alkohol und Feiern gedanklich immer noch mit Flirten verknüpft. Auch, wenn ich das abgestellt habe, merke ich ja noch immer welche Wirkung Alkohol auf mich haben kann. Mein heutiger Freund ist ganz anders gestrickt. Für ihn war Flirten nie sehr reizvoll, er hat nie viele Frauen abgeschleppt oder war ein Aufreißer. Es sagt ihm hat das nie was gegeben. Wenn er trinkt und feiert, dann weil er einfach Spaß mir Freunden haben will. Das macht er aber sehr gerne, er ist ein extrovertierter und offener Typ, der gerne unter Leuten ist und auch mal einen zu viel trinkt. In meinem Kopf ist eine Blockade. Aufgrund der eigenen Fehler, die ich gemacht habe, fällt es mir schwer zu vertrauen. Das ist beschissen und unfair meinem Partner gegenüber und ich selber leide auch sehr darunter.

Wie werde ich das los? Wie kann ich mir selbst vergeben? Wie kann ich diese Verbindung in meinem Kopf lösen und nicht immer vom schlimmsten ausgehen?

Ich weiß, dass das ein sehr heikles Thema ist und ich mache mir selbst genug Vorwürfe. Ich weiß wie absolut falsch mein Verhalten war und habe daraus gelernt.

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Ich danke dir sehr für deinen mich berührenden und offenen Bericht. Deine Schilderung deiner Enthemmung durch den Alkohol in sexuellen Dingen und das sich daraus ergebende Fremdknutschen und der Seitensprung sind für mich typische Erzählungen. Ich habe das im Kreis meiner befreundeten Alkoholiker in unserem 12-Schritte-Programm immer wieder gehört.
Der Alkohol und die Drogen haben aus introvertierten, oft schüchternen Menschen lockere, extrovertierte Typen gemacht, die in jeder Beziehung über die Stränge geschlagen haben. Der Konsum wurde mehr und mehr und ging letztendlich in eine Sucht über.

Ich würde deine Schilderungen dahingehend interpretieren, dass du möglicherweise eine gewisse Suchtpersönlichkeit besitzt, worauf ein exzessiver Alkoholgenuss und wiederholter Kontrollverlust hinweisen. Derzeit hast du deinen Konsum zwar im Griff.
Du musst aber nach meiner Ansicht damit rechnen, dass du insbesondere in Lebenskrisen wie etwa einer Trennung Gefahr läufst, voll in einen süchtigen Konsum abzugleiten.

Daher würde ich dir zu einer "clean edge" Strategie raten, d.h. ganz bewusst eine strikte Abstinenz von Alkohol zu leben.

Nun zu deinem Problem deines mangelnden Vertrauens deinem Partner gegenüber, basierend auf deinen eigenen Erfahrungen deiner Untreue.

Die Wurzel liegt für mich darin, dass du dich nach wie vor schuldig fühlst und dir selbst noch nicht vergeben konntest. Deine Schuldgefühle, deine Unsicherheit sind natürlich verbunden mit einem mangelnden Selbstwertgefühl und vor allem einer mangelnden Selbstliebe.
Doch wie kann ich mir selber verzeihen und lernen, mich wieder selbst zu lieben?

Da muss jeder Mensch seinen eigenen Weg finden, aber nach meiner Meinung liegt die Lösung nicht im permanenten Grübeln sondern in Aktivität und Tun. Und zwar für die eigene seelische Lebensqualität und im Dienst für andere Menschen oder auch Tiere.

Bei mir war es ein Weg in eine Spiritualität und einen persönlichen Glauben. Ich mache viel für meine Achtsamkeit, meditiere und bete jeden Tag.
Ich bin sehr aktiv in einem 12-Schritte-Programm.
Treibe viel Ausdauersport.
Bin im örtlichen Tierheim aktiv bei der Katzenbetreuung.
Andere Freunde von mir arbeiten ehrenamtlich im karitativen Bereich und schöpfen viel Kraft daraus, z.B. in Vereinen oder kirchlichen Bereich.

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Vielen Dank für deine ausführliche Antwort.
Ich verstehe deine Gedanken, aber eine Suchtproblematik besteht bei mir nicht. Ich habe nie unter der Woche Alkohol getrunken, oder allein daheim. Immer nur bei Festen oder mit anderen Leuten. Auch über längere Zeit darauf zu verzichten ist kein Problem für mich. Seit Jahren hatte ich keinen "Vollrausch" mehr oder habe betrunken Dinge getan, die ich bereut habe. Von daher fühle ich mich im Moment in keiner Weise gefährdet, weiß aber durchaus welche Gefahren Alkohol auch für mich bedeuten kann.

Es stimmt, ich habe mir nicht vergeben und leide noch sehr darunter. Manchmal frage ich mich, ob das die Strafe für mein Verhalten ist. Der Weg zur Selbstliebe ist ein harter und geprägt von vielen Rückschritten. Ich hoffe ich finde auch meinen Weg.

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Ich kann mich mit deiner Geschichte sehr gut identifizieren ... ist mit einigen Abweichungen fast die meinige.
Ich bin allerdings auch - heute - trockene Alkoholikerin, weil ich diesen Kontrollverlust nicht mehr steuern konnte und mir und anderen damit letztlich geschadet habe.

Ich würde da auch besser dahiner blicken, ob da möglicherweise eine Sucht dahinter steckt. Eine Abhängigkeit würde ich anhand deiner Schilderungen definitiv bereits sehen.

Ich kann seit ich nicht mehr trinke und vergeben bin mit Partys nur noch wenig anfangen, weil ich es so wie du hauptsächlich mit flirten verbunden habe, was ich mich einerseits ohne Alkohol nicht mehr traue und zweitens auch für meinen Partner nicht so toll wäre.

Ich hab mich auch immer gefragt, ob ich dieses Gedankengut ändern kann.
Vielleicht sollte man sich fragen, wie man nüchtern im Alltag zu diesem "Kick" kommen kann.

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Hallo, ich verstehe Dich und kann Dir nachempfinden. Ich persönlich bin unter Alkohol Einfluss sehr aggressiv geworden. Ich habe ähnlich viel getrunken wie Du, täglich. Unter Alkohol habe ich mich nicht zurück halten können, die ganze Wut und der Frust, den ich nicht rauslassen durfte bei meiner Mutter, kam hoch und raus.

Ich habe dem Alkohol abgeschworen. Seit Februar 2017 trinke ich keinen Tropfen mehr. Es tut gut, die Kontrolle nicht zu verlieren. Mir fehlt nichts, ich brauche es nicht mehr. Wie Christoph bin ich den Spirituellen Weg gegangen, bin auch Yoga Lehrerin und habe mich mit den Ursachen auseinander gesetzt. Diese bedürfen der Heilung, WARUM handelst du so. Wo ist der Mangel.

Alles Gute.

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Weil es jetzt so fleissig betont wird: man muss nicht zwingend eine Suchtpersönlichkeit sein, nur weil man in der Jugend turbulent war.

Ich z.B. könnte mich ähnlich beschreiben als junge Frau. Aber meine Neigung zu Süchten ist eher unterentwickelt, ich tue/tat zwar Sachen, wie du sie beschreibst. Hab gern und intensiv gefeiert, geraucht, gegiftelt-aber alles davon war mir auf Dauer körperlich viel zu anstrengend. Alkohol: der Kater, rauchen: Sodbrennen, der Geschmack am Morgen, die verstopfte Nase, kiffen: der Kontrollverlust ab einem Zug zu viel. Dann wird’s einfach lästig und ich hab alles seit Jahren aufgehört, weil es mir nichts gibt und nie wieder einen Gedanken oder Impuls daran verschwendet.

Ich konnte schon immer auch ohne Additive so sein, wie Menschen, die gerade trinken, rauchen, anders nachhelfen. Es war nur mit noch unterhaltsamer, ich glaube, weil es mein ADHS angesprochen hat. Die Anarchie war lustig, die Dynamik.

In dem Moment, in dem es für mich „ausgelebt“ war, war das jeweilige Thema dann erledigt von einem Tag auf den anderen. Also nicht mehr spannend, sondern been there, done that und damit langweilig.

Liegt es vielleicht bei dir daran, dass du es dir verbietest und nicht innerlich sagst, dass es eine Phase war, die in der Phasenzeit so war, aber jetzt ist es eine andere Phase und in der ist es für dich irrelevant?

Man entwickelt sich ja weiter und findet mit 50 andere Dinge aufregend als mit 20. Mich würde keiner mehr auf ein Fahrgeschäft auf dem Jahrmarkt bringen, mit 20 konnte es nicht wild genug sein. Wenn man innerlich weiter gegangen ist, ist die Faszination vorbei.

Kannst du das beim Thema flirten unter Alkohol auch schaffen? Ich würde vermuten, da liegt für dich der Knackpunkt, du würdest gern und verbietest es dir. Wenn du es schaffst, aus innerer Überzeugung abzuwinken, weil knutschen zwar in dem Moment aufregend ist, aber den emotionalen Kater nicht wert, was macht das mit deiner Eifersucht?

Dein Partner wird den Wert eurer Beziehung sicher höher legen, als ein Abenteuer und wenn nicht: würdest du ihn dann als Partner halten wollen?
Untreu wäre doof, aber auch unattraktiv. Also würde ich davon ausgehen, dass ich in beiden Fällen gewinne: einmal einen aus Überzeugung treuen Partner, oder die Befreiung von einem untreuen Ex.

Geht das für dich ähnlich?

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Danke für deine Worte. Ich sehe mich selbst auch nicht als Suchtpersönlichkeit. Wie du schon sagt, es war eine turbulente Jugend, die aber hinter mir liegt. Heute trinke ich gerne auch noch ab und zu was, aber in einem ganz anderen Rahmen wie früher.

Ich glaube, ich möchte dieses Flirten jetzt nicht mehr... In der jetzigen Phase verbinde ich damit viel Negatives. Der Drang nach Aufmerksamkeit und Bestätigung, danach Gefallen zu wollen, "besonders" zu sein, Zuspruch zu bekommen... In gewisser Weise will man dadurch doch den eigenen niedrigen Selbstwert aufpolieren.

Am Wochenende waren wir auf einem Fest. Dort haben wir einen Bekannten getroffen, der früher etwas in mich verknallt war. Als wir uns alleine unterhalten haben, hat er mir gesagt, dass er noch genau weiß wie er mich vor x Jahren auf genau diesem Fest zum ersten Mal gesehen hat und wie fasziniert er war... Dass er mich aber erst zwei Jahre später kennengelernt hat und es da *leider* schon zu spät für ihn war weil ich schon mit meinem Freund zusammengekommen bin. Die Freundin von dem Typ stand ein paar Meter weiter, und der Typ ist seit Jahren gut mit meinem Freund befreundet. Früher hätte mir das sicher geschmeichelt. Am Wochenende fand ich es einfach nur unangenehm und abstoßend...

Mein Freund würde nie in seinem Leben einen solchen Spruch bringen. Das wär total unter seinem Niveau. Trotzdem habe ich mich gefragt, wie ich mich fühlen würde, wenn er es macht... Ich glaube hier geht es um die Angst, nicht 100%ig die zu sein, die er will und dass das unter Alkoholeinfluss hervor kommt... Verstehst du was ich meine?

Das ist total unfair, weil er mir nie den Anlass gegeben hat so zu denken. Aber meine eigenen Erfahrungen, wie ich mich selbst verhalten habe und wie andere Männer sich mir gegenüber verhalten, schüren mein Misstrauen...

Klar, das gilt für mich auch. Aber so viele Menschen werden betrogen ohne es zu wissen...

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Hallo Karla,
auch ich habe das Gefühl, deine Geschichte könnte meine sein.
Nur, dass ich noch mit diesem Mann zusammen und mittlerweile verheiratet bin. Das ganze war eigentlich vor unserer Ehe und ich habe auch betrunken auf Partys leider zweimal fremdgeknutscht. Ich muss sagen, mein schlechtes Gewissen hielt sich zu diesem Zeitpunkt noch ziemlich in Grenzen! In einen der Jungs habe ich mich dann auch ein bisschen verliebt, was zu einer kurzen Trennung zwischen meinem Mann und mir geführt hat. Zwischen dem Anderen und mir lief nie mehr wie Küssen!!! Trotzdem war mir irgendwie klar, dass ich auf dem völlig falschem Weg bin. Und es erstmal einen Trennung geben muss.
Aber mein Mann ist und war immer der eine für mich. Nur für ihn empfinde ich ein Gefühl von Liebe. Wir sind wieder zusammen gekommen und haben dann geheiratet.
Erst als ich mit dem ersten Kind schwanger war, haben mich meine „Taten“ von damals fast aufgefressen. Und tun es leider teilweise noch immer.
Ich habe es meinem Mann nie erzählt, da ich es zehn Jahre später nicht mehr richtig fand mein schlechtes Gewissen bei ihm abzuladen.
Oft habe ich das Gefühl, ich habe eine Ehe auf einer Lüge aufgebaut und mein Mann hat etwas besseres verdient als mich. Ihm jetzt davon zu erzählen fände ich einfach nur unfair und ich würde persönlich nicht glauben, dass es sich ums nur fremdknutschen gehandelt hat… (was leider in einigen Beziehungen passiert, die machen das aber gar nicht zu so einem Riesen Problem wie ich)
Auch ich wäre zwar etwas angefressen, wenn es meinem Mann passieren würde, aber würde mich deshalb niemals von ihm trennen. Würde es aber auch lieber nicht wissen wollen.

Wie du siehst bist du nicht die einzige die sich von seinen „Schatten/Fehlern“ aus der Vergangenheit immer wieder einholen lässt.
Ich hoffe auch irgendwann einen Weg zu finden wie ich mir das selbst irgendwie verzeihen kann.

Ich wünsche dir alles Gute…